Arcade Fire – „Reflektor“

Die Band rund um Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne arbeitete für das Doppelalbum „Reflektor“ mit Kultfigur David Bowie zusammen, DFA Records- und LCD Soundsystem-Mastermind James Murphy übernahm die Produktion. Dazu noch das enorme Ausnahme-Talent der auch ohne große Namen im Rücken schon fantastischen Band. Raus kam ein Album, das diesmal nicht nur zur elegischen Beschäftigung mit substanziellen Fragen geeignet ist, sondern – man glaubt es kaum – sogar teilweise recht tanzbar ausfällt.

Die Promo-Maschinerie im Vorfeld der Veröffentlichung der neuen Arcade Fire-Platte nahm schon vor Wochen ungekannte Maße an. Zunächst waren die Bürgersteige diverser Großstädte gepflastert mit kryptischen Kreide-Zeichnungen, in denen die Buchstaben des Wortes „Reflektor“ zu lesen waren. Dann präsentierte sich das Video zur ersten Single auch noch als interaktives Meisterwerk, das versuchte die Grenzen des verstaubten Genres „Musikvideo“ neu auszuloten. Zum Abschluss folgte ein herrlich absurder zweiter Teaser-Clip, der die Band rund um Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne bei einem Auftritt in einem kitschigen Salsa-Club in Montreal zeigt – Cameos von Michael Cera als genervtem spanischen Kellner des Etablissements (O-Ton: „[…] they dream about being Mumford and Sons […] Why don’t we have Michael Buble or someone else here?), James Franco, Bono, Ben Stiller und dem „Hangover“-Cast inklusive.

Neben diesem ausgeklügelten Vermarktungs-Apparat, gaben sich Arcade Fire in anderer Hinsicht aber geheimniskrämerisch und mysteriös: vor Release des Albums sprach die Band kaum über ihre neue Platte, das Album durfte vorab von Journalisten entweder in den heiligen Universal-Hallen gehört werden oder eben gar nicht. Dabei reichen wie im Fall der Vorgängeralben eigentlich selbst zehn Durchläufe nicht aus, um der textlichen wie musikalischen Komplexität von Arcade Fire auch nur ansatzweise gerecht zu werden.

Ein Versuch sei hier trotzdem unternommen: der Opener ist gleichzeitig das schon erwähnte Titelstück „Reflektor“ – David Bowie wollte den Song angeblich (bevor er sich dann doch nur mit einem kurzen Gesangspart zufrieden gab) für sein eigenes nächstes Album. Verständlich, verbindet der Song doch die Tiefe und Vielschichtigkeit anderer Arcade Fire-Singles mit einer neuen Bowie-typischen Dringlichkeit in Richtung Tanzfläche.

Insgesamt fällt schnell auf: Arcade Fire zelebrieren nicht nur die gewohnt große Geste, sondern zeigen sich auch von ihrer humoristischen, beinahe unbeschwerten Seite. Eine imposante Orchestrierung samt Kirchenorgel weicht chaotischem Stimmen-Gemurmel am Anfang und Ende vieler Songs (z. B. „Here Comes The Night Time“), Reggae-Elementen („Flashbulb Eyes“), Punk („Joan of Arc“), Glam-Rock („Normal Person“) und karibischen Disco-Beats („You Already Know“). Als einen Mix aus Studio 54 und weirder Voodoo-Musik aus Haiti bezeichnete Win Butler das Album folgerichtig selbst. Zwar strotzen immer noch zahlreiche Songs nur so vor Nihilismus („We Exist“, „Afterlife“) und das Motiv der Reflektion über das Jenseits zieht sich durch die Platte (so singt Butler beispielsweise: „If there’s no music in heaven, then what’s it for?“) aber doch wird man das Gefühl nicht los, die Band habe einiges an Schwermütigkeit zugunsten einer selbstironischen Herangehensweise hinter sich gelassen. Mit den Worten „The fantastic Arcade Fire!“ ertönt auf „You Already Know” die Stimme des britischen TV-Moderators Jonathan Ross aus dem Off. Da möchte man sich nur anschließen und die Kanadier dafür beglückwünschen, diesmal ein Album geschaffen zu haben, zu dem es sich nicht nur ganz hervorragend weinen, sondern überraschenderweise auch tanzen lässt.