In ihrer Heimat UK sind Kasabian der Inbegriff von Musikern, die es geschafft haben. Bis auf das Debüt landeten alle Alben auf Platz eins der Charts, im Dezember werden sie die O2 Academy London gleich an fünf aufeinanderfolgenden Abenden bespielen, vor ein paar Tagen bekam das Quartett aus Leicester vom Q Magazine schon zum zweiten Mal den bescheidenen Titel „Best Act in the World Today“ verliehen. Ob das nicht ganz ausverkaufte Konzert in Berlin diese Auszeichnung rechtfertigte?
Band: Anfang Juni 2012 standen Kasabian zuletzt in der Columbiahalle, damals befand sich der neueste Elektro-Rock-Hybrid mit dem pragmatischen Titel „48:13“ noch in der Mache. Zwei Jahre sind inzwischen ins Land gezogen, jetzt gilt es die Songs der aktuellen Platte den Besuchern der C-Halle erstmals live zu präsentieren. Die zweite Auskopplung der neuen LP mit dem herrlich sinnfreien Namen „bumblebeee“ macht den Anfang, vor einem pinkfarbenen Backdrop mit der Aufschrift „48:13“ betreten Sänger Tom Meighan und Co. die Bühne.
Megalomanisch, selbstbewusst, unnahbar – das sind die Attribute, die Meighan und seinen Freund aus Kindertagen, Gitarrist und Songwriter Sergio Pizzorno, zusammenfassend beschreiben. Trotz der Bravourleistungen von Bassist Chris Edwards und Drummer Ian Matthews (plus des dreiköpfigen Live-Supports, bestehend aus Trompeter, Keyboarder und Gitarrist) bleibt der Rest der Band jedoch eher in der Statistenrolle im Gedächtnis – musikalisch solide, aber im Vergleich zu der sich selbst als narzisstische Rockgötter inszenierenden Doppelfront irgendwie konturlos.
Dass sie Setlist bis auf „treat“ und einem angerissenen Cover von Fatboy Slims „Praise You“ ausschließlich aus Singleauskopplungen wie „Underdog“, „Where Did All The Love Go?“, „Processed Beats“, „Re-Wired“ und „Empire“ besteht, könnte ein weiterer Wermutstropfen sein, ist aber ganz einfach darauf zurückzuführen, dass Kasabian schlicht so viele Hits haben wie kaum eine andere britische Band. Nicht eine dieser überlebensgroßen Singles, sondern der (noch) nicht ausgekoppelte „48-13“-Track „treat“ ist dann aber immerhin auch der, der am meisten zelebriert wird: der ausgedehnte Mittelteil mutiert zu einem mitreißenden psychedelischen Rave inklusive minutenlanger Laser-Show.
Look: Tom Meighan hat seine schon bei Rock am Ring bewährte (und da aufgrund eines nachmittäglichen Outdoor-Slots irgendwie auch sinnigere) Schmeißfliegen-Sonnenbrille erneut mitgebracht, mit seinem Shirt huldigt der, wie ein englischer boy next door aussehende 33-Jährige den New Yorker Ikonen Sonic Youth.
Sergio Pizzorno besticht hingegen dank eines Aufzugs, der Verwandtschaftsverhältnisse zur Addams Family nahe legt: mit zerzauster Wuschelfrisur, obligatorischen über-tighten Jeans mit Skelett-Aufdruck und einem an selbiger befestigten Fuchsschwanz scheint es, als habe er Halloween zu Ehren der Berliner eine Woche vorgezogen. Bekannt ist Pizzorno ebenfalls für seine immer wechselnden weißen Shirts mit absurden Slogans. Diesmal prangern auf seiner Brust die Lettern „Upholsterer“. Heißt auf Deutsch so viel wie: Polsterer.
Publikum: Polen, Spanier und Engländer – diese drei Nationen machen neben den Berliner Fans mindestens die Hälfte der Zuschauer aus. Die ersten beiden ganz sicher deshalb, da Kasabian beide Länder auf ihrer anstehenden Tour sträflich missachtet haben, letztere vermutlich, weil es in UK inzwischen unmöglich geworden ist, die Band in Venues unterhalb der Fußball-Stadion-Größe zu erleben. Geschlechtertechnisch herrscht klarer Testosteron-Überschuss. Statt das britische Halbstarke jedoch die Überhand gewinnen und in wilder Selbstaufopferung das Konzerterlebnis für alle anderen zur Tortur werden lassen, herrscht an diesem Abend von der ersten Reihe bis zur Tribüne mitreißende Euphorie, die sich in ausgelassenem Springen statt rücksichtslosem Stagediven entlädt.
Das Publikum ist heute Abend nicht gekommen, um von der Bar aus einen Blick auf den neuesten heißen Scheiß zu erhaschen und sich in abgeklärter Indifferenz zu üben. Es ist gekommen, um jeden Song mitzusingen, zwischen Konzert und Zugabe laute „L.S.F.“-Chöre anzustimmen und diese noch auf dem Heimweg fortzusetzen.
Interaktion: Kasabian und ihre Anhänger verstehen sich auch ohne Worte, weshalb lediglich der äußerst herzliche Empfang von Pizzorno mit den Worten „Berlin… thanks for making us feel so fucking welcome“ quittiert wird, die Mitglieder ansonsten aber auf längere Ansagen verzichten. Exzentrisches Rumgepose und schlichte Gesten reichen im Fall von Tom Meighan und Serge Pizzorno aus, um ihren Jüngern klar zu machen, was von ihnen erwartet wird. Arme Jesus-like zur Seite strecken? Jetzt bitte hingebungsvoll anbeten und möglichst laut schreien. Ausgestreckte Hand nach oben und oben bewegen und diktatorisch gucken? Jetzt bitte alle springen, gerne auch im Moshpit. Sich bedeutungsschwanger bekreuzigen und mit der Hand auf die Brust hauen? Meighans Art Danke zu sagen.
Schweißfaktor: Ob das alles wirklich Schweiß ist, was nach eineinhalb Stunden hedonistischem Springen an einem klebt, vermag am Ende niemand mehr zu sagen. Vielleicht ist auch Bier.
Urteil: Das Leben mag wie eine Pralinenschachtel sein, ein Kasabian-Konzert ist eher wie eine Pizza beim Lieblingsitaliener: man, weiß, was man bekommt. Noch berauscht von einen grandiosen Konzert, scheint der Titel „Best Act in the World Today“ gar nicht mal so abwegig.