Katy Perry weiß, dass die halbe Welt ihren Super Bowl Halftime-Auftritt gesehen hat und die Messlatte entsprechend hoch hängt – daher hat sie für den Halt ihrer „Prismatic World Tour“ in Berlin auch einen kompletten Zirkus, Lasershow, Konfettiregen, Akrobaten und ein Feuerwerk mitgebracht.
Um 18 Uhr ist Einlass, erst um 21 Uhr beginnt Katy Perrys Show in der nicht ganz ausverkauften o2 World Berlin – und die Multifunktionshalle in Friedrichshain macht das Überbrücken der Zeit dank horrender Getränkepreise bis zum Konzert alles andere als einfach.
Zum Glück fängt Support-Act Charli XCX pünktlich an und macht ihre Rolle als Einheizerin des Abends gut. Im Leo-Zweiteiler und mit Unterstützung ihrer sympathischen All Girl-Band unterhält die 22-Jährige knapp eine halbe Stunde lang das Publikum mit Songs ihres Debüts „Sucker“. Eine weitere halbe Stunde zieht dann ins Land, bevor Katy Perry herself ihren Auftritt schließlich mit einem ohrenbetäubenden Donner ankündigt und in einer Pyramide aus der Untermaschinerie der Bühne emporsteigt.
Schnell entpuppt sich das Konzert (die Bezeichnung ‚audio-visuelle Reizüberflutung‘ wäre wohl angebrachter) als der Kindergeburtstag, von dem du als Kind nie zu träumen gewagt hättest. Umringt von neon-leuchtenden Speerkämpfern im Schwarzlicht setzt Kary Perry im fluoreszierenden Kleid zu ihrer Self Confidence-Hymne „Roar“ an und eröffnet mit „Part of Me“, einer Dubstep-Version von „Wide Awake“ und einem Medley aus „The Moment“ und „Love Me“ eine zweistündige Party der Extraklasse, bei der ihre Band mehr zur Staffage dient und nur Aufmerksamkeit erreget, wenn Funken aus ihren Instrumenten sprühen.
Schon die ersten Visuals und Kostüme sind derart phantasievoll, dass man nicht nur Seiten füllen müsste, um ihnen gerecht zu werden, sondern sich auch fragt, wie das noch getoppt werden kann. Aber – so viel sei vorab gesagt – es kann und es wird. Alle drei Songs erlebt das Publikum einen atemberaubenden Szeneriewechsel. Für den Über-Hit „Dark Horse“ wird die Bühne plötzlich zum alten Ägypten, Perry (als Pharaonin verkleidet) reitet auf einem mechanischen Pferd und schwingt die Peitsche, während ihre als Mumien verkleideten Tänzerinnen um sie herum schwirren.
„E.T.“ und „Legendary Lovers“ werden ebenfalls von Cleopatra-Katy performt (inklusive Cirque du Soleil artigen Akrobatik-Einlagen, genau wie ihre Durchbruchssingle „I Kissed A Girl“, die sie bezeichnenderweise nicht in der Originalversion, sondern im Industrial Rock-Gewand spielt. Auch Phraraoninnen brauchen ab und an Veränderungen.
„Berlin, heute ist Freitag, der 13., heute ist alles möglich!“, ruft Katy bedeutungsvoll in ihrer ersten Ansage Richtung Publikum. „Viele von uns müssen morgen nicht arbeiten, viele von uns müssen morgen nicht zur Schule gehen“, benennt sie im Anschluss die Vorzüge eines Wochenendkonzerts du bittet: „Also trinkt gefälligst ein Bier für mich mit!“.
Da das erhoffte alkoholgeschwängerte Gegröle ausbleibt, geht Perry davon aus, dass das Publikum ihrer Muttersprache kaum mächtig ist – und bedient sich deshalb der einzigen drei Worte, die sie auf Deutsch sagen kann: „Ick liebe dich!“. Es sollen nicht die letzten Liebesbekundungen bleiben und auch sonst lässt die Kalifornierin wenig Klischees aus: Berlin assoziiert sie mit Techno-Clubs, Deutschland mit Schnitzeln. Ihr Glück, dass sie die Kurve immer noch schnell genug kriegt, bevor es allzu unsympathisch wird.
Wechsel ins Kittywood: alle Fans von absurdem Cat Content bekommen jetzt den absoluten Miezen-Overkill geboten. Eine steppende Katze leitet diesen Teil der Show ein, Perry selbst trägt einen pink-glitzernden Catsuit und macht mit ihren Tänzerinnen einen auf Musical (na, welches wohl?). Ihren Klassiker „Hot n Cold“ arrangiert sie zur Jazznummer, „International Smile“ mixt sie mit einem Cover von Madonnas „Vogue“, während sich aus einem riesigen Glas mit der Aufschrift ‚Milch‘ weißer Glitzerstaub über ihr Haupt ergießt.
Dann zum Akustikteil der Show, der „By The Grace of God“, einen Mash-up von „The One That Got Away“ und „Thinking of You“ sowie die Ballade „Unconditionally“ beinhaltet. Perry trägt ein pastellfarbenes Kostüm und sieht aus wie eine Fantasy-Prinzessin. Mit Gitarre und Sonnenblume wird sie von einem Meer aus Handylichtern begleitet.
Während dieses Parts der Show wendet sich Perry endlich den dreieckigen Innenraum ihres gewaltigen Laufstegs zu – 33 Euro mehr musste man als geneigter Fan zahlen, um Perry näher zu sein als alle anderen Karteninhaber. Die Amerikanerin nimmt sich Zeit für ihre Kittycats, die grelle Perücken und Katzenöhrchen tragen, schießt Selfies, gibt Autogramme und holt einen jungen Mann mit dem Künstlernamen ‚Jessica‘ auf die Bühne, der Katys Neonoutfit vom Beginn der Show nahezu perfekt kopiert hat – was Katy dazu verleitet, ihn mit einem „Es ist nicht leicht, ich zu sein… Und ich muss es ja wissen“ zu trösten.
Es folgt eine 90s-Eurotrashparty mit einem gigantischen Megamix u. a. aus Haddaways „What Is love?“ und Technotronics „Pump Up The Jam“. Perry ist mit Smileys und Peace-Zeichen übersät, trägt eine giftgrüne Kurzhaarperücke und schwebt zu „Walking On Air“ über den Laufsteg. Zu „This Is How We Do“ und „Last Friday Night (T.G.I.F.)“ cruisen sie und ihre Crew in einem aufblasbaren rosa Cadillac über die Bühne. „Teenage Dream“ und „California Gurls“ bestreitet die 30-Jährige wiederum in einem Tinker Bell artige Outfit, bevor sie für die Zugaben „Birthday“ und „Firework“ nochmal alle Register zieht. Für ersteren Song holt sie ein März-Geburtstagskind auf die Bühne, rotiert mit ihr auf einer drehenden Torte und lässt sich dann von bunten Luftballons über die Köpfe der o2 Arena fliegen. Für „Firework“ bittet sie die Zuschauer ihre am Eingang erhaltenen 3D-Brillen aufzusetzen, wechselt ein letztes Mal ihr Kleid und kehrt in einem opulenten Reifrock zurück, in dem sie – wie sollte es auch anders sein – ein gigantisches Indoor-Feuerwerk zündet.
Dann verschwindet die Protagonistin des Abends wieder in der Pyramide, aus der sie vor 120 Minuten gekommen ist. Als Zuschauer bleibt man ob dieses kurzweiligen Theaters fasziniert und beunruhigt zurück.
Fasziniert, weil Katy Perry in der o2 World gezeigt hat, dass sie sich zu einer ernstzunehmenden Künstlerin entwickelt hat, die es auch bei der 125. Show ihrer seit Mai 2014 andauernden Tour noch schafft, über alle Ermüdungserscheinungen erhaben zu sein. Versprühte die Pastoren-Tochter zu „I Kissed A Girl“-Zeiten noch den leicht ordinären Charme eines All American Girls, hat sie sich inzwischen zu einer exzentrischen Perfektionistin entwickelt.
Beunruhigt deshalb, weil Katy Perry mit ihrem Hang zur Megalomanie einen noch gelungeneren Auftritt in dieser Größenordnung fast undenkbar macht.