Foto: Dominik Schmitt

So wars auf dem Primavera Sound 2018

Was den USA ihr Coachella, ist Europa sein Primavera Sound: Nur mit Strand statt Wüste, Musik-Connaisseuren statt geistig umnachteten Influencern und beeindruckendem Solarpanel statt Riesenrad.

Während in Deutschland ein Festival nach dem anderen der Schlechtwetterfront zum Opfer fällt und oftmals Bierpong und Blumenkränze zu den traurigen Protagonisten werden, gibt es direkt an der Küste Barcelonas seit nunmehr 18 Jahren ein Festival, das über Trivialitäten wie Regen, Camping und schlechten Empfang erhaben ist. Und dazu mit dem wohl bestbesetzten Line-Ups Europas aufwartet. Im Gegensatz zu anderen Festivals, die ihr Billing nach und nach bekanntgeben, ist das Primavera dafür bekannt, die Katze bereits am Anfang des Jahres aus dem Sack zu lassen und so gleich allen anderen Mitstreitern den Wind aus den Segeln zu nehmen. So gibt sich auch beim Primavera 2018 erneut alles, was in Indie-Kreisen Rang und Namen hat, die Klinke in die Hand. The National, Nick Cave, The War On Drugs – you name it. Wie gewohnt werden stilistisch aber auch andere Genres bedient: mit Acts wie Tyler, the CreatorNils Frahm und Four Tet zelebriert das Line-Up seine musikalische Vielfältigkeit.

Ray-Ban Stage auf dem Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt
Ray-Ban Stage auf dem Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt

Statt aus ihren Zelten kommen die Besucher des Primavera am ersten „richtigen“ Festivaldonnertag frisch und ausgeruht aus ihren städtischen Unterkünften zum Gelände im Parc del Fòrum, indem sie den inzwischen ikonischen, mobilen Festivalschriftzug über dem Eingang durchqueren. Während manch einer noch rätselt, wo der strahlend blaue Himmel aufhört und das ebenso blaue Meer anfängt, ertönen schon die ersten Klänge der Lokal-Heroinen Hinds, die mit ihrem Lo-Fi-DIY-Punk der Meute auf der Seat-Mainstage einheizen. Gleich im Anschluss sorgt Ezra Furman auf der ein paar hundert Meter entfernten Ray-Ban Stage mit seinem passioniert vorgetragenen Weirdo-Pop für ein erstes Highlight des Festivals. Womit im Übrigen auch schon die vielleicht einzigen beiden Mankos des gesamten Primavera Sounds angesprochen wären: das exponierte Branding wirklich jeder einzelnen Bar und Stage sowie die relativ großen Distanzen zwischen den Bühnen – dafür bleiben dank der Weitläufigkeit des Geländes lobenswerterweise allerdings die üblichen Soundüberschneidung vieler Festivals dieser Größenordnung aus.

Ezra Furman live at Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt
Ezra Furman | Foto: Dominik Schmitt

Zurück auf der Hauptbühne beweisen nach Hinds auch Warpaint mit ihrer mäandernden Post-Punk-Interpretation: Rock’s not dead, it’s ruled by women. Auf der gegenüberliegenden Mango-Stage hadert indes Adam Granduciel von The War On Drugs kongenial mit seinem Schicksal, bevor Björk bei ihrem ersten Primavera-Besuch das ganze Gelände zu ihrem eigenen „Utopia“ macht. Muten Nick Caves Dystopien auf Albumlänge vielleicht zuweilen etwas sperrig an, entwickelt der Australier live eine derart Messias-ähnliche Präsenz, dass ihm seine Jünger, pardon, Fans nur noch ehrfürchtig ihre Hände entgegenstrecken – mit Sicherheit eines der unvergesslichsten Konzerte des gesamten Festivals. Das amerikanische Electro-Pop-Duo Sylvan Esso liefert danach auf der Pitchfork Stage einen stimmlich grandiosen wie extrem energetischen Auftritt, bevor die Nacht mit Techno-Urgestein Marcel Dettmann und den Indie-DJs vom Karrera Klub in Berliner Hand ausklingt.

Der Freitag startet bei ebenso fabelhaftem Wetter mit John Maus, der schon wie Nick Cave am Tag zuvor live eine ungeahnte Ausstrahlung entwickelt und während des Konzerts klapsmühlenverdächtig und höchst unterhaltsam auf sich eindrischt. Father John Misty, 2017 mit seinem aktuellen Album auf sämtlichen Best of Listen des Jahres vertreten, versteht es danach, seinen getragenen Folk mit bissigen Lyrics zu mehr Chuzpe zu verhelfen.

John Maus live at Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt
John Maus | Foto: Dominik Schmitt

Danach haben aber alle nur noch Augen für die Mainstage bzw. The Nationals Matt Berninger, der seine melancholischen Songs bei einem der wenigen Europa-Festival-Gigs der Band zu Leben erweckt und sogar ein Bad in der Menge nimmt.

Nun aber genug der schwelgerischen Tristesse, Charlotte Gainsbourg legt auf der Apple Stage eine unerwartet tanzbare Darbietung hin – dass ihre aktuelle LP von Ed Banger-Schützling SebastiAn produziert wurde, hört man den Songs, gelinde gesagt, ein wenig an. Das Closing der Mango-Stage übernimmt dann das kalifornische Schwestern-Trio Haim, das bereits letztes Jahr als Secret Act auf der Hidden Stage seine Live-Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis stellen durfte.

Auf eben dieser Hidden Stage eröffnen am Samstag Let’s Eat Grandma – benannt nach einem augenzwinkernden Wortspiel-Plädoyer für korrekte Satzzeichen. Die beiden Teenager lassen sich zu psychedelischem Gitarren-Pop auf den Rücken fallen, klatschen in die Hände, holen die Flöten raus und lassen ihre Mähnen kreisen. Das Ganze mutet zwar stellenweise wie eine clumsy Schulband-Performance an, weiß aber durchaus zu gefallen. Dann die nächste blutjunge Newcomer-Entdeckung: der britische Indie-Popper Rex Orange County, dessen Überhit „Loving Is Easy“ schon inbrünstig mitgesungen wird und der für ein Duett passenderweise seine Herzensdame auf die Bühne holt. Für Gänsehaut und reihenweise feuchte Augen sorgt dann Charlotte Gainsbourgs Mama, Gran Dame Jane Birkin. Begleitet von einem über 50-Mann starken spanischen Orchester und  vorgetragen mit unfassbarem Charme, singt die 71-Jährige Songs ihres verstorbenen Ehemannes aka weltbekannten Schwerenöters und Chansonniers Serge Gainsbourg und wird nicht müde, sich wunderbar unprätentiös zu bedanken.

Lets Eat Grandma live at Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt
Lets Eat Grandma | Foto: Dominik Schmitt

Lykke Li hat sich derweil von bravem Indie-Dutt ihrer Anfangstage verabschiedet – die Schwedin hat sich in schicke Lack-Kluft geworfen und leidet so grazil wie keine zweite. Noch schöner wäre es nur gewesen, sie hätte sich jeder Erwartungshaltung verweigert und ihr dank The Magician auf ewig verbranntes „I Follow Rivers“ aus der Seitlist gestrichen.

Weniger modische Stilsicherheit beweist Lorde, deren Performance in einem rüschigen Negligé-Ungetüm  im Konfettiregen viele Besucher jedoch nur tonlos auf den HD-Leinwänden neben der Seat-Stage verfolgen – auf der inzwischen ein unverkennbares „Monkeys“ leuchtet. Die Sheffielder Lads werden ihrem Headliner-Status gerecht und sind – im Gegensatz zum ansonsten extrem experimentierfreudigen Bookings des Festivals – genau der Mindestkonsens, auf den sich das komplette Publikum einigen zu können scheint: schon vom ersten Ton an, singen die vornehmlich spanischen und britischen Fans jedes Gitarrenriff mit und man sichtet den ersten Moshpit des Festivals.

Arctic Monkeys live at Primavera Sound | Foto: Dominik Schmitt
Arctic Monkeys | Foto: Dominik Schmitt

Schweißgebadet geht es dann zwar nicht ins kühle Nass, aber doch zumindest in Strandnähe: auf der Barcardi-Stage, die Teil des elektronisch ausgerichteten Primavera Bits ist, serviert Jon Hopkins Jazz-inspirierte Ambient-Techno Beats – man wähnt sich nun endgültig inmitten eines sommerlichen Blockbusters. Weiter zum Desperados Club und der finalen Station: Das Barceloner DJ- und Produzenten-Urgestein John Talabot lädt zum allerletzten (Disco-)Tanz.

Drei Tage perfekt organisierten Festivals gehen zu Ende. In Sachen Booking und Kulisse hat das Primavera auch dieses Jahr eine Messlatte vorgelegt, die schwerlich zu übertreffen sein wird.

 

Noch mehr Fotos aus Barcelona findet Ihr in unserer Primavera Sound 2018 Galerie.