Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser von MGMT machten im Rahmen ihrer Tour zum aktuellen, selbstbetitelten Album mit vierköpfiger Live-Unterstützung Halt im Berliner Astra. Wir waren vor Ort und berichten, wie’s war!
Das Astra, ehemaliges Rundfunk-Haus inklusive original Holzvertäfelung, 70s-Retro-Tapeten und Lampen aus den 50er-Jahren versprüht nostalgischen DDR-Abi-Feten-Charme und ist anlässlich des Berlinbesuchs von MGMT nur recht spärlich gefüllt. Könnte an dem vermeintlich verkopft-unzugänglichen neuen Album des amerikanischen Psychedelic-Indie-Rock-Duos liegen, vielleicht aber auch einfach an den horrend teuren Ticketpreisen: Besucher mussten für eine Karte fast 40 Euro investieren. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Band vergangene Woche im Rahmen der „Berlin live“-Reihe des deutsch-französischen Senders arte einen kostenlosen Gig spielte, ein ziemlich teures Vergnügen.
In den ersten Reihen drängen sich trotzdem zahlreiche Fans in gerade erworbenen MGMT-Shirts um einen Pulk junger, kreischender Teenies. Besonders von ihnen wird die unter Dschungelgeräuschen und der Ankündigung einer Radiomoderatoren-meets-Jahrmarkt-Autoscooter-Stimme auf die Bühne tretende Band, gebührend empfangen. Sie schreien meist dann am lautesten, wenn wie schon als zweiter Song des Sets mit „Time To Pretend“ einer der Hits des Debüts angekündigt wird. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, dürfte der Großteil von ihnen bei Erscheinen ebendieser Singles allerdings erst zwischen acht und zehn Jahren alt gewesen sein. Vielleicht teilen sie aber auch einfach Andrew VanWyngardens und Goldwassers seltenes Talent, optisch nicht zu altern. Vergleicht man das aktuelle Erscheinungsbild der beiden Ex-Kommilitonen nämlich mit dem von vor sechs Jahren, fallen keinerlei Veränderungen auf. Beide haben in ihrer Heimat vermutlich Probleme, Alkohol zu erstehen, sollten sie ihren Ausweis mal nicht dabei haben.
VanWyngarden betritt die Bühne heute zwar ohne obligatorisches Paisley-Stirnband, dafür aber mit typischem out-of-bed hair, ausgewaschenem Shirt und Doc Martens. Bei den Ansagen ans Publikum beschränkt er sich auf die knappen Ankündigungen von nicht mal einer Handvoll Songs, Kollege Goldwasser schweigt gänzlich, wenn den beiden gar mal ein Lächeln über die Lippen huscht, drehen sie sich verlegen zu ihren Bandkollegen um. Das Konzept MGMT funktioniert trotzdem voll und ganz. Schnell wird auch der gravierende Unterschied zum letztwöchigen arte-Konzert allzu erkennbar: während letzte Woche ein Mausklick genügte, um auf der Gästeliste zu stehen, sind am heutigen Abend ins Astra wirklich nur Menschen gekommen, die MGMT und ihre Musik gänzlich wertschätzen – und zwar nicht nur wegen der (zugegeben genialen) Hit-Singles des ersten Albums „Oracular Spectacular“, die es 2007 in die Heavy Rotation so ziemlich jedes Indie-Radiosenders schafften.
„Now let’s have some fun“ singt VanWyngarden bei dem schon erwähnten „Time To Pretend“, einer jener Über-Singles. Dazu muss schon zu diesem Zeitpunkt, ganz zu Beginn des Konzerts, niemand mehr aufgefordert werden. Das sonst eher für seine abgeklärte Verhaltenheit bekannte Berliner Publikum kennt die neuen wie die alten Tracks. Zwischen „Flesh Delirium” und „Your Life Is A Lie” setzt Goldwasser zum extrem dilettantischen Blockflötenspiel an, auch diese bezaubernde Einlage wird mit Jubelschreien quittiert. Pünktlich zu den ersten Klängen der zweiten Single-Auskopplung des aktuellen Albums „MGMT“ wird zudem eine überdimensionale Kuhglocke mit der Aufschrift „Beware” auf die Bühne gefahren. Bei jedem Tour-Stopp in Deutschland kürte die Band im Vorfeld einen Fan, dem die Ehre zuteilwurde, auf besagte Kuhglocke zu „spielen“, diesmal ist die glückliche Gewinnerin ein junges Mädchen. „Your life is a lie” singt VanWyngarden Mantra-artig mit seiner glockenhellen Stimme, das Mädchen schlägt zwar passioniert, aber nicht gleichzeitig zum Playblack-Kuhglocken-Sound.
Wer jetzt angesichts des dargebotenen Interpretationspotenzials (wollten uns MGMT mit dieser offensichtlichen Illusions-Brechung sowie den Worten „Beware“ in Verbindung mit dem Songtitel „Your Life Is A Lie“ etwas mitteilen?) noch nicht verwirrt genug ist, dem geben die fantastisch irrsinnigen Visuals den Rest: riesige Krabben rennen mit Sonnenschirm durch die Gegend, Meerjungfrauen, Weltall-Sequenzen und monströse Insekten wechseln sich ab. „Kids“, „Plenty Of Girls In The Sea“ und schließlich die Single „Alien Days“ als Zugabe komplettieren die Setlist und irgendwann kann sich selbst VanWyngarden angesichts der in den Zuschauerreihen herrschenden Euphorie ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Blieben die Jungs beim arte-Konzert bis zum Ende zugeknöpft, mutiert VanWyngarden am Ende sogar kurz zum animierenden Frontmann und tanzt und rennt über die Bühne. Nach knapp 90 Minuten fühlt man sich wie nach einem halluzinogenen Trip. Ganz ohne Drogen.