So war’s bei Julian Casablancas + The Voidz im Postbahnhof

Julian Casablancas + The Voidz veröffentlichten vor zwei Monaten eines der umstrittensten Alben des Jahres. Kurz bevor sich letzteres dem Ende zuneigt, präsentierten der Strokes-Sänger und seine Kompagnons ihren mutigen Mix aus Prog-Rock, Kraut, Noise und albtraumhaften Outerspace-Klängen gestern erstmals live in Deutschland.

Anfang Oktober ließ Julian Casablancas, seines Zeichens Frontmann der wohl erfolgreichsten „The-Band“ der Nullerjahre, das gewöhnungsbedürftig-avantgardistische Album „Tyranny“ auf seine Anhänger los. Die Kritiken reichten von genial bis gewollt. Einigkeit herrschte jedoch zumindest in einem Punkt: massenkompatibel war der jüngste musikalische Output des 36-jährigen Strokes-Schönlings bei aller Liebe nicht zu nennen.

Diese Einschätzung spiegelt sich tatsächlich auch in der Zuschauerzahl im nicht annähernd ausverkauften Berliner Postbahnhof wider: eine halbe Stunde nach Einlass sind lediglich die ersten Reihen gefüllt.

Band: Macht aber nichts, die Besucher, die da sind, kreischen laut genug für ein ganzes Stadium. Umso lauter, als Julian und seine Mannen Alex Carapetis, Jeff Kite, Jake Bercovici, Jeramy Gritter und Amir Yaghmai alias The Voidz schließlich die Bühne betreten. Das Bühnenbild wird dominiert von grellem Stroboskoplicht, Verstärkern, so weit das Auge reicht, einem Schachbrett-Backdrop, diversen PC-Monitoren, die neonfarbene Störsignale senden und leuchtendem Drum Kit mit riesiger Stars ans Stripes-Flagge.

Los geht’s mit „Xerox“, einem düsteren wie antikommerziellen Fünfminüter als passendem Opener für einen einstündigen psychedelischen Noise-Metal-Trip. Casablancas wirkt ausgelassen, palavert über Star Wars, George Lucas und Hayden Christensen. Auch seine Backing-Band hat Entertainer-Qualitäten, vor allem Gitarrist Jeramy „Beardo“ Gritter hält die Fans bei Laune.

Apropos Laune: 2006 stattete Julian Casablancas letztmals mit seiner Band The Strokes deutschen Konzerthallen einen Besuch ab. Eine lange Durststrecke für alle Anhänger des begnadeten Fünfergespanns. Doch Julian Casablancas + The Voidz sind nicht The Strokes in anderer Besetzung – diese Erkenntnis ist für den ein oder anderen Fan an diesem Abend sicher gleichermaßen überraschend wie enttäuschend.

Spätestens mit dem Strokes-Cover „The Ize of the World“ werden dann aber sämtliche Nörgler ruhig gestellt, ein weiteres Strokes-Schmankerl gibt es gegen Ende des Sets in Form von „I’ll Try Anything Once“. Aber auch hier macht es die Band dem Publikum nicht zu einfach: der Track hat es nie auf ein reguläres Album des New Yorker Quintetts geschafft, als Demo-Version von „You Only Live Once“ landete er als B-Seite auf der Single „Heart In A Cage“ – und wird entsprechend nur von den Berliner Fans erkannt, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Auch eine Kostprobe von Casablancas 2009er Solo-Debüt „Phrasez of the Young“ wird mitten im Set serviert: „River of Brakelights“ – in verzerrt und dissonant versteht sich.

Look: Seien wir ehrlich: auch unser Modelmutter-Beau Julian hat schon bessere Zeiten hinter sich. Als er einst in Lederjacke und Röhrenjeans die Wände aller Indie-Girls zierte, konnten andere Frontmänner nach Hause gehen. Heute hat Casablancas seinen einstigen Look gegen eine glänzende College-Jacke getauscht, trägt einen kleinen Bauchansatz vor sich her und eine befremdliche Vokuhila-Frisur auf dem Kopf. Die Hälfte des Publikums würde ihn vermutlich trotzdem vom Fleck weg heiraten. Der Rest der Voidz-Gang steht Casablancas‘ White-Trash-Look in nichts nach: irgendwo zwischen Neukölln und Trailerpark.

Publikum: Die Zuschauer im Postbahnhof haben sich hingegen nicht auf einen einheitlichen Stil geeinigt: ein paar nerdige Teens stehen in den ersten Reihen, eine Gruppe Brasilianer hält unermüdlich ihre Landesflagge in die Höhe, zwei Osteuropäerinnen versuchen ein Selfie von sich und Casablancas zu schießen. Letzterer wundert sich, dass auf den Schultern der männlichen Besucher keine „hübschen Ladies“, sondern Kinder getragen werden.

Interaktion: Aber auch diese Ansage macht der New Yorker grinsend – generell lacht er wohl mehr als bei den letzten zehn Strokes-Konzerten zusammen. Artig bedankt er sich mehrfach beim Publikum für’s Erscheinen, amüsiert die Zuschauer, indem er Gitarrist Beardo mit seinem Mikro würgt und sorgt für zusätzliche (diesmal ungewollte) Lacher als er schließlich selbst mit seiner Kette am Mikrofonständer hängen bleibt.

Schweißfaktor: So richtig Hitze kommt bei dem Gig nicht auf, höchstens die Handvoll pubertierender Jungs genau vor der Bühne dürfte ein paar Schweißflecken als Andenken mit nach Hause genommen haben.

Urteil:This is not for everybody. This is for nobody”, warnt Casablancas im ersten „Tyranny”-Song „Take Me In Your Army”. Und so ist es auch. Unvorhersehbar, herausfordernd, teils enervierend, aber niemals langweilig. All das trifft sowohl auf „Tyranny“ als auch das Berlin-Debüt von Julian Casablancas + The Voidz zu. Casablancas hat sich mit diesem Projekt nicht nur aus seiner Comfort Zone herausgewagt, er hat sie kilometerweit hinter sich gelassen. Der 36-Jährige ist mehr als seine Hauptband The Strokes und weder seinen Fans noch der Presse Rechenschaft schuldig. Mit dem Zugabe-Track „Dare I Care“ verabschiedet sich Casablancas in Berlin von der Bühne und singt „I don’t care anymore“. Recht hat er.