What became of the likely lads? – So wars’s bei The Libertines in der Arena

Nach zehn Jahren standen The Libertines rund um Pete Doherty gestern in der Berliner Arena erstmals wieder auf einer deutschen Bühne – wir waren vor Ort und berichten, wie’s war.

The Libertines: sagenumwobener Larger-than-life-Mythos, der sich 2004 aufgrund von Pete Dohertys anhaltender Drogenabhängigkeit nach nur zwei Alben auf dem Zenit auflöste – und so unzähligen Anhängern die Chance nahm, ihre verbrauchten Helden live zu erleben und das durch eine berüchtigte Hass-Liebe geprägte Zusammenspiel zwischen Pete Doherty und Carl Barât mit eigenen Augen zu begutachten. Zumindest bis zum April dieses Jahres, denn da hieß es plötzlich: Reunion! In ihrer Heimat London gaben die Briten Anfang Juli – nachdem sie schon zwei kleinere Gigs in Glasgow absolviert hatten – tatsächlich ihr offizielles Debüt als wiedervereinigte Band, es folgten Festival-Auftritte auf dem portugiesischen Optimus Alive! und dem spanischen Benicàssim. Gestern war Berlin als sechster Halt der Europa-Tour an der Reihe. Aber wie zufriedenstellend war das von der Columbiahalle in die Arena verlegte, nicht ganz ausverkaufte Konzert?


Band:

Zu den Klängen des 30er-Jahre-Chansons „We’ll Meet Again“ von Vera Lynn betreten Doherty, Barât, Bassist John Hassal und Drummer Gary Powell die Bühne. Ein riesengroßer Libertines-Banner liefert den Backdrop, später wird es durch alte Band-Aufnahmen aus der Londoner Subway ersetzt. Doherty und Barât sind offensichtlich wieder BFFs – und irgendwie nimmt man ihnen das dank homoerotischer Umarmungen am laufenden Band sogar ab. Halbwegs souverän und äußerst sympathisch spielt die Band Evergreens wie „Time For Heroes“, „Music When The Lights Go Out“ und „Can’t Stand Me Now“, die nichts von ihrer Eingängigkeit und poetischen Finesse eingebüßt haben. Doherty nuschelt sich wie gewohnt wenig textsicher seine Lyrics zusammen, da geht auch schon mal die ein oder andere Strophe flöten. Ist aber halb so wild, seine Kameraden wirken dafür umso geistesgegenwärtiger. Powell drischt virtuos auf die Drums ein und auch bei Hassall sitzt jeder Ton – letzterer schaut allerdings so entnervt drein, dass man nur mutmaßen kann, wie groß seine Lust auf den heutigen Abend gewesen sein muss.


Look:

Hassal trägt – passend zu seiner Stimmung – einen grauen Anzug und könnte glatt als gealterter Versicherungsvertreter durchgehen. Generell hat der Zahn der Zeit wohl am wenigsten an Carl Barât genagt, der optisch wie musikalisch eine gute Figur abgibt. Als einziger mimt er das stylish kid in the riot und trägt die rot-goldene Military-Jacke aus Anfangstagen der Band, die in den 00er-Jahren zum stilgebenden Accessoire der Libertines wurde. Vielleicht haben die anderen ihre verpfändet. Vielleicht passen sie aber auch einfach nicht mehr rein. Immerhin hat Doherty sichtlich zugelegt – da kann auch sein Outfit bestehend aus schwarzem Shirt und schwarzer Hose nicht mehr viel kaschieren. Seine Haare sind ergraut, sein Teint fahl. Aber hey, wenn man bedenkt, was sich dieser Mann in der letzten Dekade alles an fragwürdigen Substanzen einverleibt hat, sieht er eigentlich verdammt gut aus. Auch Drummer Gary Powells Oberkörper ist weit von einem Adonis-Sixpack entfernt, wird von selbigem aber trotzdem die komplette Show über selbstbewusst zur Schau gestellt. Lediglich eine Kette mit Kreuz-Anhänger schmückt seinen Korso, auch Doherty hängt sich zur Mitte des Sets einen Marienkranz um. Woher diese plötzliche Bekenntnis zum Christentum herrührt, muss an dieser Stelle leider ungeklärt bleiben.


Publikum:

Die Zuschauer sind heterogen as hell (von alternden Prenzlauer Berg-Yuppies bis zu 15-jährigen Emo-Kids ist alles vertreten), das einzige wiederkehrende Motiv sind volltrunkene Engländer, denen die drei (!) Shows in London vergangene Woche offensichtlich nicht ausreichten, um ihren Schmerz über zehn Libertines-lose Jahre zu überwinden (oder die sich und anderen einfach noch mehr Blessuren zufügen wollen). So selbstzerstörerisch wie Ex-Heroin-Addict Doherty einst war, sind scheinbar auch Teile seiner Fans. Mit einem Pegel jenseits von Gut und Böse klettert ein besonders rücksichtsloser junger Mann von der Security ungehindert auf den drei Meter hohen Boxenturm neben der Bühne und springt mit Anlauf in den Zuschauerraum. Dass niemand ernsthaft verletzt wird, grenzt an ein Wunder.


Interaktion:

Aus seiner Heimat ist Antiheld Doherty allerdings noch ganz anderen Konzert-Harakiri gewöhnt und moniert, bei den letzten vier Europa-Dates sei nur einmal die Bühne gestürmt worden. Zur Wiedergutmachung verlangt er wahlweise vier Schuhe oder einen Konzertbesucher neben sich. Gesagt, getan – neben diversen Turnschuhen schmeißt ihm das Publikum auch artig Fußball-Trikots und BHs entgegen, woraufhin Doherty fröhlich entscheidet, dass ein Wäschestück zwei Paar Schuhe ersetzt. Auch seine Kindheit in Krefeld und seine momentane Wahl-Heimat Hamburg sind nicht spurlos an Doherty vorbeigezogen: mit deutschen Satzbrocken wie „Guten Morgen, mein Liebling, wie geht’s?“ amüsiert er seine bierseligen Fans und faselt vor der Zugabe irgendwas von Käsebrötchen, während er ein solches unmanierlich vertilgt. Dabei nippt der 35-Jährige immer wieder an einem ominösen roten Getränk, bis er das Gesöff samt Mikroständer in die Menge wirft – kleine Aufmerksamkeit und Liebesbekundung à la Doherty. Sein letztjähriger Melt!-Fauxpas, in Zuge dessen er das Publikum mit „Hallo Düsseldorf“ ansprach, ist scheinbar übrigens zum Running-Gag avanciert: „Thank you Leipzig!“, ruft Doherty am Ende des Sets, hat die erhofften Lacher aber nur bedingt auf seiner Seite.


Schweißfaktor:

Wer das Konzert vor dem ersten Wellenbrecher verbracht hat, verlässt die Arena dank Dauer-Pogen und Stage-Diving klitschnass. Allen anderen dürfte zumindest dank der Bierpreise zeitweilig der Angstschweiß auf die Stirn getreten sein.


Urteil:

Neben unbändiger Freude angesichts der Reunion, umtrieb alle Anhänger des Londoner Quartetts im Vorfeld dieses Gigs vor allem die sorgenvolle Frage nach der Motivation hinter der überraschenden Wiedervereinigung: dass monetäre Gründe keine unwesentliche Rolle spielten, wird spätestens dann klar, wenn man sich nach dem Konzert an den Merch-Stand verirrt, wo signiertes Gekritzel von Doherty für mehrere Hundert Euro erstanden werden kann. Diese wenig ehrenswerte Triebfeder kann dem ansonsten überzeugenden Reunion-Konzert allerdings keinen Abbruch tun – ihm höchstens einen faden Beigeschmack verleihen.